Von Artur Beul, März 1946

Isabelle BachmannEs hat zu allen Zeiten sogenannte Wunderkinder gegeben, und im Allgemeinen sind es frühreife Talente, Menschenkinder die eine sehr rasche Entwicklung aufweisen, die meist aber auch wieder frühzeitig stehenbleibt, oder gar zurückgeht.

Was gewöhnliche Menschen mit 30 Jahren zustandebringen, haben diese schon mit 10 Jahren geschafft. Die Natur erlaubt sich bisweilen solche Spässe. Den betreffenden Wunderkindern wollen wir nicht neidisch sein, denn sie müssen oft ihre Jugend dafür hergeben, sie müssen arbeiten, wenn ihre Altersgenossen spielen, sie müssen Geld verdienen, wenn die andern sorglos ihre Jugend geniessen dürfen.
Ein klassisches Beispiel ist ja Mozart gewesen. Und wenn wir heute unter den Artistenkinder suchen, finden wir sie wieder, sei es als Akrobaten Tänzernummern, oder als Gesangsattraktion.

Isabelle Bachmann ist es in dieser Hinsicht besser ergangen. Sie stammt nicht aus einer Künstlerfamilie und ist doch mehr als viele andere, eine überaus talentierte Künstlerin.

Ich kannte sie noch nicht, hatte nicht einmal ihren Namen gehört, obwohl sie bereits über einige öffentliche Erfolge sich ausweisen konnte. Ich bekam einfach ihre Telefonnummer, irgendwo in den Straßen Zürichs. Abends stellte ich die Nummer ein, und bat die Kleine bei mir vorzusprechen. Auf die Frage, was sie eigentlich singe, erhielt ich die Antwort : Alles! Es zeugt von der Vielseitigkeit der jungen Künstlerin, daß sie so antwortete. Aber ich war mir im gleichen Moment, bewußt, daß sie nicht alles singen kann und darf. Sondern sie braucht eigene Lieder, die ihr, wie man sagt, auf den Leib geschrieben sind. Ich ließ Isabelle gleich ein Lied singen, das ich für sie komponiert hatte, ohne daß ich ihr Repertoir vorher anhörte. Mit großer Geschicklichkeit sang sie es gleich mit und hatte Freude daran. Wir waren uns gleich einig, solche Lieder mußte sie haben, denn ein Star braucht ein eigenes Repertoir. In ein paar Tagen waren die Lieder geschrieben. Der Direktor der Plattenfirma hörte sich die Sachen an, und schon wurde der Kontrakt abgeschlossen. Isabelle ist ein Plattenstar geworden. Ihre Lieder singt sie alle mit schweizerdeutschem Text. Sie sind ihrem Alter und ihrer Stimme, die unglaublfich rein und hoch ist, angepaßt.

Ich habe mir vorgenommen, Ihnen, werte Leser, Isabelle Bachmann heute auch vorzustellen. Wahrscheinlich sind, wenn Sie diese Zeilen lesen ihre ersten Schallplatten auch schon erhältlich. Und sicher werden die Lieder von Isabelle gesungen sich bald beliebt machen, wie diejenigen welche das Trio Geschwister Schmid und das Duett Mummenthaler-Pfyl singen.

Isabelle Bachmann singt schon seit sie sich zurückerinnern kann. Für sie war die Musik stets das Wichtigste und Schönste des Lebens. Schon sehr früh begann sie mit Gesangsunterricht. Es galt, ganz sachte das, Stimmenmaterial heranzubilden. Ein Zuviel oder auch ein Zuwenig würde sich später ungünstig auswirken. Bei Isabelle wurde sehr vorsichtig vorgegangen, was man an ihrem heutigen Gesang unbedingt feststellen kann. Sie ist mit ihren 13 Jahren schon eine große Künstlerin geworden, nebenbei aber doch das Kind geblieben. Und das ist das Schöne an ihr.

Isabelle hat mir verraten, daß sie in Wirklichkeit Isaura heißt, wie ihre Ururtante, die auch Sängerin war. Künstlerkollegen haben sie aber stets Isabelle genannt, und so ist ihr dieser Name geblieben. Das erste Mal ist unsere kleine Nachtigall mit 8 Jahren aufgetreten. Und seit diesem Alter an wird sie auch von einem tüchtigen Gesangslehrer unterrichtet.

Viele bemühen sich nun um die kleine Isabelle, und doch – die große Kunst liegt in ihr selber. Zuletzt liegt stets alles in der eigenen Hand. Sie ist nebenbei ein lieber Kerl, und ist dankbar für alles, was man für sie tut. Sie weiß, daß man immer mehr lernen muß, und daß einem nichts geschenkt wird im Leben. Isabelle sagt zwar, daß sie nicht warten kann, bis sie aus der Sdhule kommt. Kleine Isabelle, nachher beginnt gleich eine andere Schule, die Schule des Lebens. Vielleicht denkst Du später einmal an diese Worte zurück.

Isabelle hat nun ihr eigenes Repertoir und ist stolz darauf. Es paßt, zu ihr, wie das blaue Kleidchen mit den goldenen Sternen, das sie auf der Bühne trägt. Sie kann heute noch keine langfristigen Engagements annehmen, aber ist gerne bereit an Veranstaltungen aufzutreten, wo sie bestimmt Freude und Stimmung in die Herzen der Zuhörer bringen wird.

Sie fragen sich vielleicht, warum ich diesen Artikel geschrieben habe. Lieber Leser, jeder Mensch und vor allem jeder Künstler braucht jemanden, der ihn lanciert. Dies kann man jedoch nur tun, wenn etwas da ist, das man lancieren kann. Und diesmal ist es der Fall. Vielleicht war es auch bei Dir einmal so, lieber Leser? Vielleicht wartest Du noch darauf. Wir wollen gute Kräfte aus dem Dunkel der Unbekanntheit hervorholen, damit sie sich entwickeln können. Wir haben ja sehr wenige, wenn wir offen reden wollen, die wirklich etwas außergewöhnliches leisten. Aber diese Wenigen dürfen nicht unterdrückt werden. Wir Schweizer benötigen Menschen, die etwas können, nicht bloß auf den andern Berufsgebieten, sondern auch in der Kunst, in der Musik. Und wenn man so ein seltenes Sternlein entdeckt hat, dann darf man auch stolz sein und es den andern zeigen, damit auch sie sich daran freuen können. das war der Zweck meiner Worte über Isabelle Bachmann, die 13jährige Nachtigall.

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