Dieser Nachruf, verfasst von Adrian Michael, erschien am Freitag, 15. Januar 2010 im Zolliker Boten

Am Himmel staht es Sternli, Stägeli uf, Stägeli ab, Nach em Räge schint Sunne und die Brämen, die seit fast 70 Jahren über den Gotthard fliegen – wer kennt sie nicht, die Melodien von Artur Beul? Manche von ihnen gelten ja bereits als Volkslieder. Im Laufe vieler Jahrzehnte schrieb Artur Beul gegen 2000 Kompositionen, von denen etwa 500 auf Schallplatte und CD erschienen sind.

Artur Beul wurde 1915 in Einsiedeln geboren und verbrachte dort seine Jugendzeit. Nach der Klosterschule in Einsiedeln studierte Beul an der Universität Freiburg und schloss an der Uni Zürich sein Studium als Mittelschullehrer ab. Da kurz danach der Krieg ausbrach, musste er einmal Stellvertretungen übernehmen; zuerst 1940 in Willerzell am Sihlsee. Und in Willerzell, wo Artur Beul nebenbei auch noch als Organist in der Kirche tätig war, begann sein musikalischer Werdegang.

Lieder für die Kinder

Weil es, abgesehen von Volksliedern und vaterländischen Gesängen, kaum Lieder für die Jugend gab, schrieb der musikbegeisterte junge Lehrer kurzerhand selber Lieder mit eingängigen Melodien und kindsgemässen Texten, die bei den Kindern auf grossen Anklang stiessen. So entstanden Übre Gotthard flüged Bräme, De Lusbueb, Sibe chlini Äntli und zahlreiche andere. Auch das berühmte Stägeli uf, Stägeli ab stammt aus Willerzell.
Beuls allererstes Lied indes entstand bereits einige Jahre früher: Als Achtzehnjähriger schrieb er das unvergessliche Am Himmel staht es Sternli. Beim Komponieren kamen Beul seine Musikkenntnisse zugute, die er zuvor am Konservatorium in Zürich erworben hatte.

Beul war der gesuchte Mann

Anfangs der 1940er Jahre besuchte Beul im Zürcher ‚Corso’ ein Konzert der jungen Geschwister Schmid mit dem Orchester von Teddy Stauffer, die durch den Film ‚S’Margritli und d’Soldate’ in der ganzen Schweiz bekannt geworden waren. Artur, begeistert vom perfekten Dreiklang der jungen Stimmen, bat die Kinder schriftlich um ein Autogramm und legte die Noten seines Sternli bei – ‚zur gfl. Begutachtung’. Zu seinem Erstaunen kam ein Brief zurück: Sie seien demnächst in Einsiedeln und man könne sich ja dort treffen. Und so kam es einige Wochen später zu jener Begegnung, die das Leben Beuls von Grund auf ändern sollte. Das Sternli nämlich gefiel den jungen Sängern und die Geschwister waren sich schnell einig: Artur Beul war der Mann, den sie gesucht hatten; da sie im Alter seiner Schüler waren, waren seine Lieder auch für sie wie massgeschneidert.
Teddy Stauffer, der die Schmid bisher begleitet hatte, verliess zu dieser Zeit sein Orchester und ging nach Amerika. Darum schlugen sie dem jungen Artur Beul vor, er solle doch seinen Lehrerberuf an den Nagel hängen und mit ihnen als Komponist und Begleiter am Klavier auf Tourneen gehen. Und so kam es. Das ‚Trio Schmid’ und Artur Beul blieben zehn Jahre zusammen und waren überaus erfolgreich. Gegen achtzig Lieder wurden auf Schallplatten aufgenommen und zahlreiche Konzerte in der Schweiz, Österreich, Deutschland und England gegeben.

Da Beul die dauernde Fahrt zwischen Einsiedeln und Zürich zu mühsam wurde, liess er sich nach dem Tod seiner Mutter 1945 in Zollikon nieder und baute sich nahe der Stadtgrenze ein kleines Haus.

Beul wurde nie reich

Eines Tages legte Beul dem Trio ein Lied vor, das er vor einiger Zeit innert einer Viertelstunde niedergeschrieben hatte: Nach em Räge schint Sunne. Den Geschwistern jedoch gefiel das Lied nicht und auch der Verleger Rosengarten hielt nicht viel davon. Schliesslich liess er sich dazu überreden, es für das Gesangsduo Vreneli Pfyl und Martheli Mumenthaler als B-Seite zu verwenden; das bekannte Brunnenhoflied auf der A-Seite sei ja gut genug, da könne es eine schwache Rückseite schon verkraften.
Aber so wurde Beul erfolgreichstes Lied, der erste grosse Mundarthit überhaupt, nicht vom Trio Schmid herausgebracht, sondern vom Duo Pfyl/Mumenthaler.
Hie und da wurde in Weggis konzertiert, wo zahlreiche amerikanische Soldaten nach dem Krieg ihren Urlaub verbrachten. Einer von ihnen muss Nach em Räge schint Sunne einem amerikanischen Verleger mitgebracht haben, denn eines Tages kam die Anfrage, ob man dieses Lied in den USA herausgeben könne. Das Lied wurde 1945 unter dem Titel When a Swiss Boy goes calling to a Swiss Miss in June von den Andrews Sisters aufgenommen und lag in den USA ein halbes Jahr an der Spitze der Hitliste – Beul war der erste Schweizer Superhit gelungen, der zu internationalem Ruhm gelangte. Das Lied ist in mehrere Sprachen übertragen worden; auffallend ist besonders eine schwedische Aufnahme, und der amerikanische Jazzmusiker Joe Turner sang mit englischem Akzent: „Nach em Räge schint Sunne, wänn i hei chumm, git’s Krach.“ In der Schweiz wurden 100’000 Platten davon verkauft– eine in jenen Jahren unglaubliche Zahl.
Aber leider gab es damals noch keine rechtlichen Verträge zwischen Amerika und Europa, und darum brachten die Aufnahmen in den USA keine Autoreneinnahmen – Beul entging ein Vermögen. Mit seiner Musik ist Beul zwar nie reich geworden, konnte aber als einer der ersten Schweizer von seiner Musik leben.

Die USA waren kein Thema

Beuls Kreativität scheint damals fast grenzenlos gewesen zu sein. Oftmals kam am Abend ein Telefon des Verlegers, er brauche dringend ein paar Lieder – morgen. Und Beul setzte sich ans Klavier und schrieb in der Nacht ein paar Lieder. Diese entstanden immer auf die gleiche Art und Weise: Zuerst war eine Idee, ein Bild, aus dem sich dann Musik und Text mehr oder weniger gleichzeitig ergaben. Und wenn Beul mit seinen Interpreten nicht gerade irgendwo auftrat, spielte er abends für zwanzig Franken pro Abend die grosse Orgel im Kino ‚Apollo’.

Doch dann erhielt das Trio Schmid eine Einladung nach Amerika, was die Trennung von ihrem Komponisten zur Folge hatte – als Heimwehschweizer waren die USA kein Thema für ihn. Auch hatte er mittlerweile begonnen, für andere Interpreten zu arbeiten wie für das Duo Pfyl/Mumenthaler, Lys Assia und Vico Torriani.

Ausserdem lernte er in dieser Zeit die deutsche Sängerin Lale Andersen kennen, die als Interpretin des Liedes Lili Marleen Weltruhm erlangt hatte. Zuerst wohnte sie bei ihm zur Untermiete, aber nach zwei Jahren wurde 1949 geheiratet und fortan zog Beul als einer ihrer Komponisten und Begleiter am Flügel auf Tourneen durch Europa. Auch sein Lieblingslied schrieb Beul für seine Frau: In unsrem Garten blühen Rosen entstand aus einem Brief, den er ihr schrieb und später zu einem Lied verarbeitete.

Durch Lale Andersen erhielt Beul Zugang zu den grossen Vertretern der deutschen Unterhaltungsmusik: Peter Kreuder, Franz Lehar, Ralph Benatzky und andere gehörten zu seinem Bekanntenkreis. Für Hans Albers, der auch oft bei den Beuls zu Gast war, schrieb er acht Lieder, darunter das bekannte Sag wie heisst du, süsse Kleine.
Oft fuhr er nach Paris. Seine Erlebnisse hielt er in ausführlich geschriebenen Tagebüchern fest, die seine Faszination für die Welt Jean Cocteaus und Henry Millers verraten. In Paris konnte er auch ausgiebig einem weiteren Hobby frönen: Artur Beul sammelte seit vielen Jahren Autogramme. Seine Sammlung wurde derart umfangreich und exquisit, dass er mit dem Erlös aus ihrem Verkauf eine Zweitwohnung im Tessin kaufen konnte.

Der malende Komponist

Nach Lale Andersens Tod 1972 zog Beul nach Cannes, wo er Bilder malte und sie an Touristen verkaufte. 1978 kehrte er nach Zollikon zurück. Bald lernte er seine zweite Frau Pat Gysin kennen, die bei der Zürcher Rediffusion als Gestalterin und Ansagerin arbeitete.

Noch bis vor einigen Jahren trat Beul in Altersheimen auf, spielte seine Lieder und erzählte aus seinem Leben. Charmant plaudernd genoss er die Aufmerksamkeit und die Verehrung, die ihm vom dankbaren Publikum entgegenschlug. Die letzten drei Jahre seines Lebens verbrachte Artur Beul in einem Pflegeheim in Küsnacht. In den frühen Morgenstunden des 9. Januar 2010 ist er dort friedlich eingeschlafen, genau einen Monat nach seinem 94. Geburtstag. Artur Beul wird auf seinen Wunsch in seinem Heimatort Lachen beerdigt.

Enorme Vielseitigkeit

Auch wenn von Artur Beul immer nur die gleichen vier oder fünf Lieder zu hören sind, war seine Vielseitigkeit enorm. Neben volkstümlichen Liedern schrieb er Seemannslieder für Lale Andersen und Hans Albers sowie deutsche Chansons für Evelyn Künnecke und Ilse Werner. Eine Zeitlang waren Cowboysongs angesagt: Das ‚Texas-Duo’ war äusserst erfolgreich mit Liedern wie Am Rio Grande liegt El Paso oder Marie, die Rose der Prärie. Die blauen Berge von Gina Valley ist wohl das bekannteste aus dieser Serie, für die sich Beul heute allerdings eher etwas schämt und verlegen abwinkt; der Jodlerkönig Peter Hinnen sang den Titel jedoch mit grossem Erfolg. Im Lied Unter der Brücke von San Luis ist Beul überdies zum einzigen Mal als Sänger zu hören: Weil der Hauptsänger erkrankt war, sprang Beul ein und sang, etwas zurückhaltend, die zweite Stimme…
Beul konnte alles in ein Lied einpacken. Vielen Dörfern und Regionen hat er ein Lied gewidmet: Rapperswil, Schwyz, Lachen, Weggis, Lugano, Zollikon, dem Emmental, dem Thunersee – und in Glarus gilt sein Glarner Zigerlied fast als lokale Landeshymne.
Auch Verkehrsmittel hat er besungen: die SOB, das Züritram, den ersten Trolleybus, die Spanisch-Brötli-Bahn. Zahlreiche Figuren aus der Kinderliteratur liess Beul in seinen Liedern aufleben, so etwa Max und Moritz, Rotkäppchen, Schneewittchen, Bambi und Perry, das Eichhörnchen. Auch ‚normale’ Tiere kamen zu Ehren: Ziegen, ein Papagei, Katzen und Schwalben.
In seinen volkstümlichen Liedern durfte ein Jodel nie fehlen; ein ‚Holidulio’ war Pflicht und gehörte dazu; wenn Beul es einmal wegliess, wurde er dafür kritisiert.
Durch seine Lieder blickt man zurück in die Studenten- und Niederdorfromantik der 1950er-Jahre. ‚Es herzigs Fräulein’ wird besungen, man hat es ‚Schätzli im Stedtli’ und ein Titel wie Im Negerdörfli z’Züri wäre heute wohl kaum denkbar… Am bekanntesten aus dieser Reihe ist wohl S’isch Polizeistund; interpretiert vom Trio Eugster. Oft trifft man auch Wörter, die heute aus der Umgangssprache verschwunden sind wie etwa schüüli, weidli oder währli.
Zu seinen letzten Kompositionen gehören mehrere wunderschöne Weihnachtslieder, die er innerhalb weniger Tage niederschrieb. Sie sind – wie viele seiner anderen Lieder, auch als Notenheft erhältlich.

Übersicht verloren

Neben Liedern komponierte Beul die Mittelmeersuite für Orchester, mehrere Märsche, eine kleine Singmesse sowie unzählige Instrumentalstücke, die er als ‚Warenhausmusik’ bezeichnete. Und auf seinem Klavier stapeln sich immer noch Dutzende von Liedern, die nie veröffentlicht wurden.
Die Übersicht über seine Werke verlor Beul schon vor vielen Jahren, es sind zu viele. Manchmal fragte er: „Ist das wirklich von mir…?“ und glaubte es erst, wenn man ihm den Titel auf der Liste der SUISA zeigte – sie ist viele Meter lang.
Die trendigen Berliner Entertainer ‚Geschwister Pfister’ und der renommierte Männerchor Schmaz haben auf jeder ihrer CD modern arrangierte Beul Lieder aufgenommen. Von Nach em Räge… erschien neulich von der Innerschweizer Band ‚Smashing Potatoes’ in Zusammenarbeit mit dem Radiopublikum eine Reggae Version und die jungen ‚Sam Singers’ haben seine Lieder in ihrem Programm. Pepe Lienhard spielte mit seiner Bigband ein Programm mit Beul-Melodien und das Orchester von Reto Parolari in Winterthur interpretiert seine Stücke.
Entzückend ist die jüngste Interpretation von Übre Gotthard flüged Bräme im Film Beresina; die junge russische Schauspielerin Helena Panova singt den alten Schlager mit charmantem Akzent. Auch im kürzlich aufgeführten Musical Das Comeback der Geschwister Schmid leben seine Lieder wieder auf. Damit ging sein Wunsch, dass seine Lieder ihn überleben möchten, sicher in Erfüllung.

Anlässlich seines 80. Geburtstages im Gemeindesaal Zollikon las Elisabeth Schnell zwei Strophen aus einem seiner Gedichte:

Und muss ich gehen, soll niemand weinen,
ich lass ja Lieder euch zurück.
Sie werden euch mit mir vereinen
in Liebe, Fröhlichkeit und Glück.

Spielt dann mein Sternli-Lied zum Schluss
bevor ich zu den Sternen geh.
Singt laut, dass ich es hören muss!
Ich freu mich dann, wenn ich euch seh!